Hintergrund
Gut 43 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland - angestellt, freiberuflich, selbstständig. Rund 13 Millionen bewerten ihre Arbeit als psychisch belastend oder empfinden zumindest außergewöhnlich hohen, permanenten Stress. Dies lässt sich aus Ergebnissen einer Untersuchung der Techniker Krankenkasse hoch rechnen.
Die Ursachen sind vielfältig: Erhöhte Arbeitsbelastung durch Lean Management, Re-Engineering und Veränderungsdruck, dynamische Kommunikation („All Place-All-Time“, Response-Zeiten, cc-Kultur,..), hohes Entscheidungstempo, vernetzte Prozesse, globale Zusammenarbeit aber auch gestiegene individuelle Verantwortung für persönlicher Zielsetzungen, Selbstorganisation und die eigene Leistungserwartung. Für viele wird es zu viel: Leistungsabfall, Frustration, Blockaden, Krankheit * oder gar innere Kündigung sind das Resultat. Mehr dazu
Das Thema ist virulent, gleichwohl aber auch diffus und schwer zu fassen: Im Gegensatz zu anderen Bereichen des betrieblichen Gesundheitsschutzes, in denen seit Jahren stabile Messgrößen existieren, gibt es für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz wenig valide Indikatoren.Oder besser: Es gibt derer zu viele**, aber bislang ohne allgemeingültige Anerkennung und klare Abgrenzung
Wann ist psychische Belastung berufs- und arbeitsplatzbedingt zu diagnostizieren? Welche Faktoren wirken mit? Wo verläuft die Grenze zwischen angemessener Erwartung an Resilienz und Anpassungsfähigkeit von Mitarbeitern und echter Überlastung? Dies sind weiterhin offene Fragen.
Doch wie groß ist die Relevanz dieses Themas heute in und für Unternehmen? Dazu hat die deutsche Gesellschaft für Personalmanagement im Jahr 2011 eine Online-Befragung unter DGFP-Mitgliedsunternehmen durchgeführt. In den Ergebnissen zeigt sich die Bedeutung mit Blick auf den akutellen Status Quo und die zu erwartenden Auswirkungen:
- 88 Prozent der Personalmanager bestätigen, bereits heute psychisch beanspruchte Mitarbeiter in ihrem Unternehmen zu haben.
- Die Mehrheit der Befragten (85 Prozent) berichtet von einem Anstieg der Fehlzeiten aufgrund psychischer Beanspruchung in den letzten zwei Jahren.
- Die Mehrheit (83 Prozent) rechnet mit einer weiteren Zunahme der Fehlzeiten aufgrund psychischer Beanspruchung. Kaum einer glaubt daran, dass die Fehlzeitenquote gleich bleiben oder sogar abnehmen wird.
- Die stärkste Auswirkung hat psychischer Überlastung nach Meinung der Personalmanager auf die Zusammenarbeit im Team. Rund ein Viertel glaubt das Konflikte in Team enstehen. Fehlerhäufung ist eine weitere Konsequenz (27 Prozent). Die wichtigste Folge ist jedoch nach Meinung der Befragten, dass Mitarbeiter krank zur Arbeit kommen.Das Phänomen der inneren Kündigung wird immerhin von fast jedem fünften Befragten als wichtigste oder zweitwichtigste Folge bewertet.
Viele Unternehmen setzen bereits Maßnahmen zur Prävention bzw. zum Umgang mit psychischer Beanspruchung um. Maßnahmen, die noch stärker eingesetzt werden könnten, sind nach Meinung der befragten Personalverantwortlichen in den Unternehmen die Delegation an Experten und individuelle Belastungs-/Beanspruchungsanalysen. Daneben ist die Unterstützung von Führungskräften wichtig. Insbesondere für den Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern gibt es einen erheblichen Weiterbildungsbedarf. Die Führungskräfte aber auch die Mitarbeiter der Personalabteilung haben Schwierigkeiten, psychische Beanspruchung zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Auch wird eine Tabuisierung des Problems von Seiten der Führungskräfte beschrieben. Die Personalmanager sind der Meinung, dass ein praxisorientierter Leitfaden zum Umgang mit psychischen Beanspruchungen für die Führungskräfte hilfreich sein könnte.***
Mehr und mehr wird eine Diagnose zum Synonym für die Auswirkungen dieser Realität: „Burn-out“. Ein Krankheitsbild, das es formal eigentlich gar nicht gibt**** wird zunehmend zu einer Art legitimen „Endstation“. Psychische Überlastung wird als Erfahrung gesellschaftsfähig und bietet eine Erklärung für diejenigen, die an den Verhältnissen scheitern.
Aber hat das etwas mit Ihnen zu tun?
* Nach einer Untersuchung der KKH Allianz liegt der Anteil von Krankheiten wie Depressionen oder Burnout bei Krankschreibungen im ersten Halbjahr 2011 bei 14,3 Prozent. Nicht mitgerechnet ist die große Zahl von Diagnosen mit psychosomatischem Hintergrund.
** In wissenschaftlicher Literatur existieren rund 100 verschiedene Befragungs- und Erhebungsinstrumente zur Messung psychischer Belastungen
*** Quelle: Praxispapier 2-2011 zur Studie der DGFP ("Psychische Beanspruchung von Mitarbeitern und Führungskräften")
**** Mediziner listen ca. 150 mögliche Symptome für eine Burn-out-Diagnose auf. Ein eindeutiges Symptombild existiert aber bislang eben so wenig, wie eine Definition im internationalen Standardverzeichnis der Erkrankungen ICD-10.
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